Homer — Odyssee - Kapitel 52

                                    Zwanzigster Gesang Odysseus, im Vorsaal ruhend, bemerkt die Unarten der Mägde. Bald erweckt ihn das Jammern der Gemahlin. Glückliche Zeichen. Eurykleia bereitet den Saal zum früheren Schmause des Neumondfestes. Nach dem Sauhirten und Ziegenhirten kömmt der Rinderhirt Philötios, und bewährt seine Treue. Die Freier hindert ein Zeichen an Telemachos' Mord. Beim Schmause wird nach Odysseus ein Kuhfuß geworfen. Verwirrung der Freier, die in wilder Lust den Tod ahnen. Der weissagende Theoklymenos wird verhöhnt, und geht weg. Penelopeia bemerkt die Ausgelassenheit.           Aber im Vorsaal lagerte sich der edle Odysseus.           Über die rohe Haut des Stieres breitet' er viele           Wollichte Felle der Schafe vom üppigen Schmause der Freier:           Und Eurynome deckte den Ruhenden zu mit dem Mantel. 5        Allda lag Odysseus, und sann dem Verderben der Freier           Wachend nach. Nun gingen die Weiber aus dem Palaste,           Welche schon ehemals mit den Freiern hatten geschaltet,           Und belustigten sich, und lachten untereinander.           Aber dem Könige ward sein Herz im Busen erreget; 10      Und er bedachte sich hin und her mit wankendem Vorsatz:           Ob er sich plötzlich erhübe, die Frechen alle zu töten;           Oder ihnen noch einmal zum allerletzten erlaubte,           Mit den Freiern zu schalten. Im Innersten bellte sein Herz                   ihm:           So wie die mutige Hündin, die zarten Jungen umwandelnd, 15      Jemand, den sie nicht kennt, anbellt, und zum Kampfe                         hervorspringt.           Also bellte sein Herz, durch die schändlichen Greuel erbittert.           Aber er schlug an die Brust, und sprach die zürnenden Worte:               Dulde, mein Herz! Du hast noch härtere Kränkung erduldet,           Damals, als der Kyklop, das Ungeheuer! die lieben 20     Tapfern Freunde dir fraß. Du duldetest, bis dich ein Anschlag           Aus der Höhle befreite, wo dir dein Tod schon bestimmt war.               Also strafte der Edle sein Herz im wallenden Busen;           Und sein empörtes Herz ermannte sich schnell, und harrte           Standhaft aus. Allein er wandte sich hiehin und dorthin. 25     Also wendet der Pflüger am großen brennenden Feuer           Einen Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet,           Hin und her, und erwartet es kaum, ihn gebraten zu sehen:           Also wandte der Held sich hin und wieder, bekümmert,           Wie er den schrecklichen Kampf mit den schamlosen Freiern           begönne, 30     Er allein mit so vielen. Da schwebete Pallas Athene           Hoch vom Himmel herab, und kam in weiblicher Bildung,           Neigte sich über sein Haupt, und sprach mit freundlicher                   Stimme:               Warum wachst du doch, unglücklichster Aller, die leben?           Dieses ist ja dein Haus, und drinnen ist deine Gemahlin, 35     Und ein Sohn, so trefflich ihn irgend ein Vater sich wünschet!               Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:           Dieses alles ist wahr, o Göttin, was du geredet.           Aber eines ist, was meine Seele bekümmert:           Wie ich den schrecklichen Kampf mit den schamlosen Freiern           beginne, 40     Ich allein mit so vielen, die hier sich täglich versammeln.           Und noch ein größeres ist, was meine Seele bekümmert:           Wann ich jene mit Zeus' und deinem Willen ermorde,           Wo entflieh ich alsdann? Dies überlege nun selber.               Drauf antwortete Zeus' blauäugichte Tochter Athene: 45     O Kleinmütiger, traut man doch einem geringeren Freunde,           Welcher nur sterblich ist und eingeschränktes Verstandes;           Und der Unsterblichen eine bin ich, die deiner beständig           Waltet in jeder Gefahr. Vernimm denn, was ich dir sage:           Stünden auch fünfzig Scharen der vielfachredenden                             Menschen 50     Um uns her, und trachteten dich im Kampfe zu töten;           Dennoch raubtest du ihnen die fetten Rinder und Schafe,           Aber schlummre nun ein! Die ganze Nacht zu durchwachen,           Ist ermattend; du wirst ja der Trübsal jetzo entrinnen!               Also sprach sie, und deckte Odysseus' Augen mit                             Schlummer. 55     Und zum Olympos empor erhub sich die heilige Göttin,           Als ihn der Schlummer umfing, den Gram zerstreute, die                   Glieder           Sanft auflöste. Allein Odysseus' edle Gemahlin           Fuhr aus dem Schlafe, sie saß auf dem weichen Lager, und                 weinte.           Als sie endlich ihr Herz mit vielen Tränen erleichtert, 60     Flehte sie Artemis an, die trefflichste unter den Weibern:             Hochgepriesene Göttin, o Artemis, Tochter Kronions,           Träfest du doch mein Herz mit deinem Bogen, und nähmest           Meinen bekümmerten Geist gleich jetzo! Oder ein Sturmwind           Raubte durch finstere Wege mich schnell von hinnen, und                 würfe 65     Mich am fernen Gestade des ebbenden Oceans nieder:           So wie die Stürme vordem Pandareos' Töchter entführten!           Ihrer Eltern beraubt von den Göttern, blieben sie hilflos           In dem Palaste zurück; da nährte sie Aphrodite           Mit geronnener Milch und süßem Honig und Weine. 70     Ihnen schenkte dann Here vor allen sterblichen Weibern           Schönheit und klugen Verstand, die keusche Artemis Größe,           Und Athene die Kunde des Webestuhls und der Nadel.           Aber da einst Aphrodite zum großen Olympos emporstieg,           Daß der Donnerer Zeus den lieblichen Tag der Hochzeit 75      Ihren Mädchen gewährte; (denn dessen ewige Vorsicht           Lenkt allwissend das Glück und Unglück sterblicher                             Menschen:)           Raubten indes die Harpyen Pandareos' Töchter, und                           schenkten           Sie den verhaßten Erinnen zu harter sklavischer Arbeit.           Führten die Himmlischen so auch mich aus der Kunde der                 Menschen! 80     Oder entseelte mich Artemis' Pfeil! damit ich, Odysseus'           Bild im Herzen, nur unter die traurige Erde versänke,           Eh' ich die schnöde Begierd' eines schlechteren Mannes                     gesättigt!           Ach! zu erdulden ist noch immer das Leiden, wenn jemand           Zwar die Tage durchweint und jammert, aber die Nächte 85      Ruhiger Schlummer beherrscht; denn dieser tilgt aus dem                 Herzen           Alles, Gutes und Böses, sobald er die Augen umschattet:           Doch mir sendet auch nachts ein Dämon schreckende                       Träume!           Eben schlief es wieder bei mir, ganz ähnlich ihm selber,           Wie er gen Ilion fuhr; und ich Arme freute mich herzlich, 90     Denn ich hielt es nicht für ein Traumbild, sondern für                           Wahrheit.             Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos.           Und der Weinenden Stimme vernahm der edle Odysseus.           Ängstlich sann er umher; ihn deucht' im Herzen, sie stünde           Ihn erkennend bereits zu seinem Haupte. Da nahm er 95     Hurtig Mantel und Felle, worauf er ruhte, zusammen,           Legte sie schnell in den Saal auf einen Sessel, die Stierhaut           Trug er hinaus, und flehete Zeus mit erhobenen Händen:             Vater Zeus, wenn ihr Götter nach vielem Jammer mich                     huldreich           Über Wasser und Land in meine Heimat geführt habt; 100    O so rede nun einer der Wachenden glückliche Worte           Hier im Palast, und draußen gescheh ein Zeichen vorn                       Himmel!             Also flehte der Held; den Flehenden hörte Kronion.           Und er donnerte schnell vom glanzerhellten Olympos           Hoch aus den Wolken herab. Da freute sich herzlich                           Odysseus. 105    Plötzlich hört' er ein mahlendes Weib, das glückliche Worte           Redete, nahe bei ihm, wo die Mühlen des Königes standen.           Täglich waren allhier zwölf Müllerinnen beschäftigt,           Weizen- und Gerstenmehl, das Mark der Männer, zu mahlen.           Aber die übrigen schliefen, nachdem sie den Weizen                           zermalmet: 110    Sie nur feirte noch nicht, denn sie war von allen die                             schwächste.           Stehen ließ sie die Mühl', und sprach die prophetischen                     Worte:             Vater Zeus, der Götter und sterblichen Menschen                             Beherrscher,           Wahrlich du donnertest laut vom Sternenhimmel, und                       nirgends           Ist ein Gewölk; du sendest gewiß jemandem ein Zeichen. 115     Ach so gewähr' auch jetzo mir armem Weibe die Bitte!           Laß die stolzen Freier zum letztenmal heute, zum letzten!           Ihren üppigen Schmaus in Odysseus' Hause genießen,           Welche mir alle Kraft durch die seelenkränkende Arbeit,           Mehl zu bereiten, geraubt! Nun laß sie zum letztenmal                       schweigen! 120       Sprach's; und freudig vernahm Odysseus ihre Verkündung,           Und Zeus' Donnergetön; denn er hoffte die Frevler zu strafen.              Jetzo versammelten sich die andern Mägde des Königs,           Und es loderte bald auf dem Herde das mächtige Feuer.           Auch der göttliche Jüngling Telemachos sprang von dem                   Lager, 125    Legte die Kleider an, und hängte sein Schwert um die                         Schulter,           Band die schönen Sohlen sich unter die rüstigen Füße,           Faßte den mächtigen Speer, mit scharfer eherner Spitze,           Ging, und stand an der Schwelle, und sagte zu Eurykleia:              Mütterchen, habt ihr auch für die Ruh und Pflege des                       Fremdlings 130    Hier im Saale gesorgt? oder liegt er gänzlich versäumet?           Meine Mutter die ist nun so, (wie gut sie auch denket,)           Daß sie den schlechteren Mann in ihres Herzens Verwirrung           Oftmals ehrt, und den besseren ungeehret hinwegschickt.               Ihm erwiderte drauf die verständige Eurykleia: 135    Sohn, beschuldige nicht die ganz unschuldige Mutter!           Denn er saß da und trank, so lang' er wollte, des Weines;           Speise, sagte er selbst, verlangt' er nicht mehr; denn sie fragt'           ihn.           Und als endlich die Stunde des süßen Schlafes herankam,           Da befahl sie den Mägden, ein Lager ihm zu bereiten; 140   Aber er, als ein ganz unglücklicher Leidengeübter,           Weigerte sich im Bette auf weichen Polstern zu schlafen:           Auf Schafsfellen allein und der unbereiteten Stierhaut           Wollt' er im Vorsaal ruhn; wir deckten ihn noch mit dem                     Mantel.               Also sprach sie. Da ging, den Speer in der Rechten, der                   Jüngling 145    Aus dem Palast; es begleiteten ihn schnellfüßige Hunde;           Und er ging zur Versammlung der schöngeharnischten                       Griechen.               Aber den Mägden befahl die Edelste unter den Weibern,           Eurykleia, die Tochter Ops, des Sohnes Peisenors:               Hurtig, ihr Mägde! kehrt mir den Saal geschwinde mit                     Besen, 150    Aber sprengt ihn zuvor; die purpurnen Teppiche legt dann           Auf die zierlichen Sessel! Ihr andern scheuret die Tische           Alle mit Schwämmen rein; dann spült die künstlich gegoßnen           Doppelbecher und Kelche mir aus! Ihr übrigen aber           Holet Wasser vom Quell; doch daß ihr nur eilig                                     zurückkommt! 155    Heute zögern gewiß die Freier nicht lange, sie werden           Frühe sich hier versammeln; denn heut ist der heilige                         Neumond!              Also sprach sie; ihr hörten die Mägde mit Fleiß, und                         gehorchten.           Zwanzig eileten schnell zum Wasser der schattichten Quelle,           Und die andern im Saale vollendeten klüglich die Arbeit. 160    Jetzo kamen ins Haus der Freier mutige Diener,           Welche das Holz geschickt zerspalteten; und von der Quelle           Kamen die Weiber zurück. Auch kam der treffliche Sauhirt,           Der drei Schweine, die besten der ganzen Herde, hereintrieb.           Diese ließ er weidend im schönen Hofe herumgehn, 165    Trat dann selbst zu Odysseus, und sprach die freundlichen               Worte:             Fremdling, hast du anitzt mehr Ansehn vor den Achaiern?           Oder verschmähen sie dich, wie vormals, hier im Palaste?             Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:           Ach, Eumäos, bestraften doch einst die Götter den Frevel 170    Dieser verruchten Empörer, die hier im fremden Palaste           Schändliche Greuel verüben, und Scham und Ehre verachten!               Also besprachen diese sich jetzo untereinander.           Und es nahte sich ihnen der Ziegenhirte Melantheus,           Welcher die trefflichsten Ziegen der ganzen Herde den                       Freiern 175    Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere                     Hirten.           Diese banden sie fest dort unter der tönenden Halle,           Aber Melanthios sprach zu Odysseus die schmähenden                     Worte:             Fremdling, du willst noch jetzo in diesem Hause die                           Männer           Durch dein Betteln beschweren? und nie zur Türe                               hinausgehn? 180    Nun wir werden uns wohl nicht wieder trennen, bevor du           Diese Fäuste gekostet! Es ist ganz wider die Ordnung,           Solch ein Betteln! Es gibt ja noch andere Schmäuse der                       Griechen!             Also sprach er; und nichts antwortete jenem Odysseus,           Sondern schüttelte schweigend sein Haupt, und sann auf                   Verderben.


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